JR: Der Demografsche Wandel, medizinisch-technische Fortschritte und neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten hatten in den letzten Jahren große Auswirkungen auf den Arztberuf. In der Pränataldiagnostik spüren wir diese Veränderungen deutlich: Einerseits ist das durchschnittliche Alter der Patientinnen höher, andererseits haben die Untersuchungsinhalte zugenommen. Unsere Ultraschallgeräte sind leistungsfähiger geworden und das hat die Qualität der Untersuchung sicherlich positiv beeinflusst.
MM: Die Entwicklung einer neuen Gerätegeneration in der Ultraschall Diagnostik hat auch für uns große Herausforderungen mit sich gebracht. Seit mehreren Jahren arbeiten wir bei GE HealthCare daran, künstliche Intelligenz (Kl) in die Geräte zu integrieren. Das besondere an Kl basierten Ultraschallgeräten ist, dass Algorithmen in Echtzeit lokal laufen müssen. Als Pränatal-Mediziner müssen Sie Ihre Daten schließlich sofort verarbeiten, damit Sie schon während der Behandlung eine Diagnose stellen können. Es gibt momentan keine Server, auf dem Daten gespeichert und später mit großer Rechenkraft prozessiert werden. Beim Ultraschall müssen daher momentan Software, Grafik und Kl optimal aufeinander abgestimmt sein müssen. Unser Ziel ist, Sie als Arzt bestmöglich zu unterstützen. Langfristig evaluieren wir parallel Methoden wie SG und Edge Computing, um unseren Kunden noch mehr Rechenleistung zur Verfügung zu stellen.
JR: Die größte Unterstützung fnde ich in der enormen Effizienzsteigerung: Optimale Arbeitsabläufe gelingen beispielsweise, wenn meine Kollegen bei Pränatalplus und ich die Arbeitsgeräte möglichst entspannt bedienen können. Das erlaubt uns volle Konzentration aufwichtige Dinge, die exakte Diagnostik und auch die Kommunikation mit Patientinnen. Während ich früher damit beschäftigt war, mit dem Trackball manuell Markierungspunkte zu setzen, um die notwendigen Messparameter zu erfassen, hatte ich weniger Aufmerksamkeit für jede einzelne Patientin. Durch automatisierte Messvorgänge spare ich sehr viel Zeit - und das Handling ist deutlich einfacher.
MM: Neben der Handhabung arbeiten wir kontinuierlich daran, die Bilderkennung weiter zu entwickeln. Kl erkennt bereits auf Ultraschallbildern, was zu sehen ist - und in welchem Kontext. Dadurch laufen viele Prozesse automatisch, die in der Vergangenheit von Ihnen als Nutzer manuell gesteuert werden mussten. Bildparameter werden heute optimiert, Markierungen automatisiert und Beschriftungen vorgenommen. Solche automatisierten Messungen zeigen eine geringere Variabilität von Mensch zu Kl als zwischen verschiedenen menschlichen Nutzern. Kann aus Ihrer Sicht KI dadurch die Versorgungsqualität für den Patienten verbessern?
JR: Ja, praktisch ist jetzt schon der deutlich höhere Komfort spürbar. Die Messgenauigkeit kann in einigen Bereichen unabhängig vom Untersucher standardisiert werden. Diese Funktionen sind beispielsweise extrem hilfreich bei der Beurteilung der Herzaktion eines Fötus: Die hohe Herzfrequenz erfordert eine sehr schnelle Bilderfassung mit hoher Wiederholrate, um die schlagende Bewegung zu evaluieren. Bei Kl-unterstützten Geräten passiert die Einstellung der Aufnahmesettings automatisch. Die neuen Geräte erlauben es, Untersuchungen mit der gleichen Genauigkeit in kürzerer Zeit zu erledigen. Und sie bedarfen keine langwierige Umstellung. Im Prinzip ist das Gerät gleichgeblieben, nur ein Teil wurde automatisiert. Auch die Bildqualität hat sich verbessert. Die hohe Auflösung ermöglicht es uns, Strukturen unmittelbar zu erkennen. Das vereinfacht wiederum die Diagnosestellung. Für mich als Arzt bedeutet das eine Verringerung der Arbeitsbelastung und reduziert letztlich Stress bei mir und meinen Kollegen.
MM: Die ldee beruht ja darauf, dass Kl-basierte Geräte einem zweiten Paar Augen gleichkommen. Die helfen dem Arzt nichts zu vergessen und verringern gleichzeitig die Anzahl der repetitiven Aufgaben. Wenn man an die biometrische Messung des fetalen Schädels denkt, haben Ärzte bis jetzt alle Ebenen manuell erfassen müssen. In dem Voluson E10 wurde dieser Vorgang mit dem SonoCNS Tool automatisiert: Das Volumen wird automatisch aufgenommen und Sie als Arzt können das Ergebnis akzeptieren oder korrigieren. Das führt zu einer deutlichen Prozessbeschleunigung.
Bei der technischen Entwicklung ist für uns maßgeblich, dass der Umstieg auf das neue Gerät die bestehenden Workflows unterstützt. Ein wichtiges Kriterium stellen auch ergonomischen Aspekte dar. Wir bekommen oft berichtet, dass jeden Tag viele Stunden mit dem Ultraschallgerät zu arbeiten Schulterprobleme verursacht und muskuläre Probleme. Jeder Klick, den das Gerät dem Arzt abnimmt, soll schließlich körperliche Beschwerden verringern.
JR: Kl macht meine Arbeit in dieser Hinsicht definitiv angenehmer. Allerdings wirft das bei einigen Kollegen auch gewisse Sorgen auf: Nimmt Kl uns immer mehr Arbeit ab - gefährdet die Entwicklung sogar meinen Arbeitsplatz? Das sehe ich persönlich nicht so. Wenn irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem der Computer bessere Diagnosen stellen wird als der Arzt, oder besser auffällige Strukturen erkennt, dann sollten wir uns dem Fortschritt nicht verschließen. Das zieht weiterhin eine Veränderung der Rolle des Arztes mit sich: Die menschliche Komponente steht dann immer mehr im Vordergrund. Wir werden noch mehr Zeit fur wichtige beratende Aufgaben gewinnen: mit den Patienten sprechen und ihnen die Untersuchungsergebnisse mitteilen. Von dem technologischen Fortschritt profitieren sowohl
wir als Ärzte als auch unsere Patienten.
MM: Dem stimme ich zu und ich teile lhre aufgeschlossene Haltung zu lnnovationen. Spannende und gewinnbringende Entwicklungen in der Forschung und in der Ultraschalltechnologie gehen Hand in Hand mit Kl. Aber: Auch wenn in der Zukunft möglicherweise Ultraschall-Scans voll automatisiert laufen, wird immer der Arzt gebraucht, der die Diagnose und Differentialdiagnose stellt und im persönlichen Kontakt mit den Patienten steht. Für uns bei GE HealthCare steht nicht die Innovation um der Innovation willen im Mittelpunkt. Wir können Ärzten die repetitiven Aufgaben erleichtern, die nicht den Kern ihrer Kompetenz darstellen, und sie beim klinischen Alltag unterstützen. Dafür wollen wir weiterhin unseren Beitrag leisten.
Vielen Dank für das Gespräch Dr. med. Jochen Ritgen!